Individualisierung, Kontextualisierung, Interaktion – das sind Argumente, die für die Digitalisierung der Bildung sprechen. Zumindest solange das Zwischenmenschliche dabei nicht auf der Strecke bleibt.

Autor: David P. Steel

Als Gründer und Geschäftsführer des sprachtechnologischen Startups L-Pub wurde ich eingeladen, einen Workshop im Rahmen des Nachwuchsparlaments 2017 zu leiten. Das Nachwuchsparlament wird durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisiert und findet am Vortag der Berliner Buchtage statt. Es gibt angehenden Verlagsfachkräften und Buchhändlern, die Möglichkeit sich mit aktuellen Themen der Buchbranche auseinander zu setzen.

Zum Programm des eintägigen „Parlaments“ gehörten einige Workshops, die parallel angeboten wurden. Da die Bildungstechnologie zu den Kernkompetenzen L-Pubs gehört und insbesondere in diesem Bereich viele Argumente für die zunehmende Digitalisierung sprechen, beschloss ich einen Workshop mit dem Titel „Bildung im digitalen Wandel“ anzubieten.

Alte Pumpe in Berlin, Veranstaltungsort des Nachwuchsparlaments der Buchbranche 2017

Die Veranstaltung hat in der Alten Pumpe in Berlin stattgefunden. Eine tatsächlich „alte“ aber dafür recht stimmungsvolle Location für ein Gespräch über die Zukunft. Eine Projektionsmöglichkeit gab es nicht, also blieb mir nichts anders übrig, als die ca. 20 Teilnehmer mit analogen Mitteln zu involvieren – und es gelang, denn egal wie digitalisiert die Bildung eines Tages sein wird, die persönliche Interaktion zwischen Menschen im Klassenzimmer kann niemals ersetzt werden und hat ganz klare eigene Vorteile.

Die Gegenwart im Kontext der Digitalisierung

Viele Bereiche unseres Lebens sind bereits komplett digitalisiert. Ich wollte deshalb als Herzstück des Workshops nicht einfach Behauptungen über die Zukunft abgeben, sondern Gedankenprozesse initiieren, um den aktuellen Stand der Digitalisierung besser zu verstehen, besonders im Hinblick auf der Verlagsbranche.

Ein Essayband des Autors Peter Härtling trägt den Titel „Wer vorausschreibt, hat zurückgedacht“. Ich halte dieses Zitat für eine zutreffende Anregung, unsere Zukunft im Kontext der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit einzuordnen. Obwohl ich mir selbst viele Gedanken dazu mache, in welchen Bereichen Digitalisierung sinnvoll ist und warum, wollte ich das die Teilnehmer ihre eigenen Gedanken dazu präsentieren und dann ihre Schlüsse ziehen. Nicht nur weil es didaktisch mehr Sinn macht, sondern auch, weil ich neugierig darauf war, zu erfahren, auf welche Ergebnisse wir gemeinsam kommen würden – im offenen Gespräch und ohne fixe Agenda.

David P. Steel mit den Teilnehmern des Workshops „Bildung im digitalen Wandel“

Zunächst ging es darum sich einen Überblick zu verschaffen. Als Ausgangspunkt für unseren Workshop dienten daher folgende Fragen: Was lesen wir bereits digital? Welche Vor- und Nachteile hat das digitale Lesen und Lernen? Was ist Bildung im weitesten Sinne und was macht gute Bildung aus?

Nach mehreren intensiven Gesprächen in diversen Konstellationen – beim Gruppenbrainstorming, in Zweiergesprächen und bei individueller Reflektion – haben wir eine Menge „Rohdaten“ zu den Themenfeldern gesammelt und ein breites Feld abgesteckt. Dabei kamen spannende Fragen und Erkenntnisse auf, z.B.: Wie „liest“ man eigentlich, wenn man auf Facebook Posts durchstöbert? Ist es auch „Bildung“, wenn man sich gemeinsam mit Freunden für etwas engagiert? Warum scheinen die wichtigsten Lernerfahrungen, oft außerhalb des klassischen Unterrichts stattzufinden?

Dann kamen wir zu unserer letzten Aktivität, bei der wir fünf Gruppen gebildet haben. Jede davon erhielt ein Bild von einem analogen Gegenstand, der entweder inzwischen überholt ist oder dessen digitale Variante viel häufiger in Benutzung ist. Zu sehen waren: ein gedrucktes Fahrplanbuch, ein Karteikartensystem in einer Bibliothek, ein fremdsprachiges Wörterbuch, ein Telefonbuch und die Brockhaus Enzyklopädie. Die Fragestellung dazu lautete: Warum hat sich die digitale Version durchgesetzt? Welche triftigen Gründe gibt es dafür? Ein bemerkenswertes Ergebnis der Diskussion war die Feststellung, dass nur die wenigsten Teilnehmer die analogen Varianten vermissten. Viele kannten sie noch nicht einmal und das führte uns zu der Einsicht, dass gewisse analoge Medien wahrscheinlich aus gutem Grund überholt sind.

Die Teilnehmer der Gruppe sammeln Vor- und Nachteile der digitalen Bildung

Wo liegt die Zukunft der digitalen Bildung?

Die Resonanz zum Workshop war durchwegs positiv. Allerdings fehlte uns im Rahmen der vorgesehenen zwei Stunden leider die Zeit, gemeinsam ein umfassendes Fazit aus den gesammelten Ideen, Eindrücken und Feststellungen zu ziehen. Daher habe ich im Nachhinein alle Notizen und „Rohdaten“ nebeneinander gelegt und diese sinnvoll gruppiert – um nun, an dieser Stelle, eine objektive Interpretation zu präsentieren. Dabei zeige ich auf, wo eine hohe Korrespondenz zwischen „guter Bildung“ und „sinnvollen digitalen Angeboten“ vorlag und welche Angebote dazu beitragen, die im Workshop erkannten Mängel in der Bildung zu beseitigen.

Individualisierung – wer sucht, der findet

Was vielen bei digitalen Angeboten gefällt, ist der hohe Grad der Individualisierung. Ich bekomme, das was ich will, wann ich es will und meistens wie ich es will.

Gute Erfahrungen mit Bildung waren oft ähnlich individuell, dass heißt man war von der eigenen Neugier getrieben, etwas zu entdecken oder zu verstehen und hat sich dabei nachhaltig Wissen angeeignet. Im herkömmlichen Klassenzimmer ist das kaum möglich, denn es gibt einen Lehrplan, vorgefertigte Übungsblätter und meistens viel mehr Lernende als Lehrer, d.h. es ist gar nicht möglich, wirklich auf Einzelwünsche und spezielle Interessen des Einzelnen einzugehen.

Doch es bringt auch nichts, die Lernenden einfach im Internet surfen zu lassen. Um den Unterricht sinnvoll zu individualisieren, sollte es digitale Bildungsangebote geben, die genug Vielfalt und Tiefe haben, damit Lernende ihren Wissensdurst im Einklang mit ihren eigenen Interessen stillen können und dennoch auch dem Lehrplan gerecht werden.

Natürlich geht das auch mit einem analogem Lexikon und einer physischen Bibliothek. Aber nicht so gezielt, intuitiv und schnell, wie es Digital Natives heutzutage erwarten. Vor allem Technologien machen es möglich, Lerninhalte heutzutage in Form einer Datenbank bereitzustellen, die das individuelles Nachschlagen ermöglicht. So richtet sich die Bildung nach dem natürlichen Entdeckungsgeist der Lernenden.

Kontextualisierung – das große Ganze

Durch die beinahe flächendeckende Verbreitung des Smartphone sind digitale Medien nun „überall“. Der Nutzer erwartet in jedem Kontext, egal wo er sich aufhält, sofortige Antworten auf seine Fragen und Hilfe – beim Lesen, im Gespräch mit jemanden auf dem Bahnhof, im Fitnessstudio, bei Einkaufen. Man kann sich in jedem Kontext informieren und das Lernen kann im Prinzip überall stattfinden.

Aber dazu braucht es auch einen geschärften Geist, der nachfragt, hinterfragt und Zusammenhänge erkennt und versteht. Was viele an Bildung bemängeln, ist die „trockene Theorie ohne praktischen Bezug“. Mit Kontextualisierung bringt man die Theorie in die Praxis. Die Theorie wird auf einmal relevant, weil sie hilft, ein aktuelles Problem zu lösen. Ich klicke auf ein Wort, ich spreche in ein Mikrofon, ich mache ein Foto und sofort bekomme ich die relevanten Antworten auf meine Fragen. Wenn man das erste Mal das große Ganze verstanden hat, ist man befreit und paradoxerweise auch süchtig. Ich stelle mir das wie ein riesiges „Zusammensetzspiel“ vor. Ohne das ganze Bild zu kennen, fühle ich mich schnell überfordert. Was digitales Lernen ermöglicht ist die Schaffung von Kontext oder es ermöglicht aus einem Kontext heraus die Verknüpfung neuer Zusammenhänge – mit atemberaubender Geschwindigkeit und grenzenloser Weite.

Interaktivität – sofort wissen, ob ich richtig liege

Die besten Lehrmaterialien der Welt helfen nicht, wenn ein Lernender etwas falsch versteht und dadurch anfängt, falsche Zusammenhänge zu bilden. Außer im Rahmen des Einzelunterrichts kann jedoch keine Lehrkraft jedem Lernenden ständig zur Verfügung stellen, sei es um spontane Fragen zu beantworten oder unmittelbare Rückmeldungen zu geben. Gerade digitale Angebote, z.B. auf einem Smartphone, die die Lernenden ständig in der Tasche mit sich tragen, können diese Verfügbarkeit liefern.

Je unmittelbarer der Lernende eine Rückmeldung bekommt, zu dem was er gerade lernt, egal wo er gerade ist, desto erfolgreicher wird er sich die Inhalte richtig und nachhaltig einprägen können. Denn, so gaben die Teilnehmer an, gute Bildung ist fördernd, motivierend und besteht aus einem kontinuierlichen Austausch. Noch besser – und auch hier können digitale Angebote deutlich punkten – ist, wenn das Lernangebot eine gewisse „Gamification“ bietet, d.h. ein Lerninhalt wird erst mit einfachen Abfragen geprüft und dann, je nach Erfolg des Lerners, erreichte er die nächste, höhere Ebene, die noch ein Tick schwieriger zu bewältigen ist und so den Lernenden positiv anspornt, ohne ihn zu überfordern.

Diese Art von Übungsprogression ist auch ein erster Schritt Richtung „adaptives Lernen“ – die Königsdisziplin der digitalisierten Bildung. Mit solch hoher Aufmerksamkeit, die kein Mensch aufbringen kann, verfolgt die „Maschine“ die Erfolge, Misserfolge, Interessen und blinde Stellen, um sukzessiv genau dort anzusetzen, wo Hilfe benötigt wird, und idealerweise auch in dem Tempo, das optimal zum Lernenden passt.

Es gab natürlich einige weitere Anregungen, aber die meisten ließen sich in diese drei Kategorien einordnen. Die Digitalisierung schreitet voran und sie wird früher oder später, einige analoge Bildungsangebote obsolet machen, so wie sie es in anderen Bereichen unseres Lebens (Fahrplan, Telefonbuch etc.) bereits getan hat oder dabei ist es zu tun.

Auch beim Workshop war der zwischenmenschliche Austausch das A und O

Wo Digitalisierung nicht helfen kann

Wo liegen also die Grenzen? Beim Zwischenmenschlichen! Der zwischenmenschliche Austausch zwischen Lernenden hat sich bereits vor langer Zeit als extrem wichtiges pädagogisches Mittel erwiesen. Er ist also nicht so ganz neu, wie die Verfechter des „Flipped Classrooms“ es seit ein paar Jahren immer wieder behaupten. Im Fremdsprachenunterricht gilt der „kommunikative Ansatz“ schon länger als unerlässlicher Teil des Lernerfolgs.

Neben dem persönlichen Austausch der Lernenden ist auch ein kompetenter Lehrer unersetzlich. Denn auch wenn „Frontalunterricht“ manchmal als Auslaufmodell bezeichnet wird, ist die Rolle des Lehrers in unserer Informationsgesellschaft wichtiger denn je. Der Neuropsychologe Robin J. Malloy hat es kürzlich beim Deutschen Schulleiterkongress auf dem Punkt gebracht: Lehrer müssen den Sinn und die Ziele ihrer Unterrichtsinhalte vermitteln. Ohne ein menschliches Vorbild, ist es schwierig eine gesunde Wissbegierde zu wecken, zu fördern oder, wenn es angebracht ist, zu lenken.

Blick in die Zukunft

Grundsätzlich steht schon seit der 1980er fest, dass Technologie die Bildung personalisierter/individualisierter gestalten kann, d.h. besser zugeschnitten auf die Bedürfnisse und Fragen des einzelnen Lernenden. Warum die Bildung trotzdem immer noch nicht digitalisierter daher kommt, beschreibt ein Artikel in der englischen Zeitschrift The Economist mit dem Titel: „How the science of learning can get the best out of edtech“.

Das Klassenzimmer wird also nicht verschwinden, ebenso wenig die Bücher, doch vor allem außerhalb des Klassenzimmers kommt frischer Wind auf. Statt aufwändig erstellter Lehrunterlagen, werden die Lerninhalte aus einer sauber aufgebauten Datenbank auf Knopfdruck abgerufen und so werden daraus immer wieder neue Übungen oder Aufgaben generiert, je nach Wunsch, Bedürfnis oder Lernfortschritt des Nutzers. Das ermöglicht dem Lernenden seiner Neugier frei zu folgen und individualisiert zu lernen.

Um solche Lerntools zu kreieren, müssen Lerninhalte jedoch zunächst als Daten betrachtet und behandelt werden und in ihre Einzelteile aufgedröselt werden. Dieser neue Umgang mit Lerninhalten wird die Bildung in der Zukunft so radikal verändern und beeinflussen, wie einst die Aufklärung und der Siegeszug des wissenschaftlichen und rationalen Denkens. Denn Bildung wird dadurch kollaborativer, flexibler, freier. Statt nur Lehrplänen zu folgen, folgt die Bildung dann vermehrt der natürlichen Neugier und Wissbegierde der Lernenden. Die Digitalisierung führt also auch zu einer Demokratisierung der Bildung.

Sprechen Sie mit uns darüber, wie wir auch Ihre Bücher in digitale Lerntools verwandeln können. Von unserem neuen digitalen Leseformat, dem L-Book, bis zur Lern-App – gehen Sie mit uns den nächsten Schritt in die Zukunft. Gerne stellen wir Ihnen unsere Angebote unverbindlich näher vor. Schreiben Sie uns bei Interesse einfach eine E-Mail. Wir freuen uns auf Sie.

Und wer noch mehr über „Classroom Technology“ erfahren möchte, dem empfehlen wir diesen interessanten Blogbeitrag auf Jen Reviews.