Aleksander Bazhanov arbeitet als Deutschlehrer und Lektor an der Philologischen Fakultät der Staatlichen Akademischen Universität für Humanwissenschaften in Moskau. Er ist Teil eines Teams, das etliche Deutschbücher für allgemeinbildende Schulen in Russland verfasst hat und Aufgaben für die russlandweiten Deutscholympiaden für Schüler und Studenten entwickelt.
LLE Erfahrungsbericht
Schon vor 4 Jahren habe ich für mich den Language Level Evaluator (LLE) entdeckt. Ich habe damals nach einem Tool gesucht, das mir bei der Analyse von Texten behilflich ist. Ich bin darauf angewiesen, weil ich mich aktiv mit der Erstellung, Begutachtung und Weiterentwicklung von Aufgaben zum Hör- und Leseverständnis wie auch zur Wortbildung, Lexik und Grammatik befasse. Deswegen habe ich mich vor vier Jahren auf die Suche nach solchen Tools gemacht und war froh, als eine Kollegin mich auf eine der ersten Versionen des LLE aufmerksam machte. Seitdem greife ich auf das Tool jedes Mal zu, wenn ich mit der Begutachtung oder der Erstellung von Aufgaben beauftragt werde.
Im Weiteren werde ich meine praktischen Erfahrungen in der Nutzung dieses Tools anhand einiger Verwendungsbeispiele aufführen.
Einen Schülertext als Übungstext nutzen
In meinem ersten Beispiel geht es um einen Freitext, den ein Siebtklässler zum Thema „Vorbild“ geschrieben hatte.
Mein Ziel war es, den Text weiter als Übungstext für A2-Lernende zu nutzen. Dabei hat mir der LLE in einigen Aspekten weitergeholfen.
Das Offensichtlichste, was der LLE liefert, sind Angaben zu den einzelnen Wörtern in einem Text und darüber hinaus, wie viele davon zum A1-Niveau und welche zum Beispiel zum C1-Niveau gehören. Daraus kann man schlussfolgern, dass der Text sprachlich einen Deutschlerner auf dem B1-Niveau nicht zu stark beanspruchen wird.
Bei dem Beispieltext über Ed Sheeran, ergab die Analyse Folgendes: Knapp über die Hälfte der Wörter sind A1-Wörter, fast 17 Prozent gehören lexikalisch dem A2-Niveau an und mehr als ein Fünftel sind B1-Wörter.
Aus meiner Sicht bedeutet das, dass der Text lexikalisch eher zum B1-Niveau tendiert. Weil ich den Text für A2-Deutschlernende nutzen wollte, müsste ich den Text vereinfachen, z. B., indem ich die Zahl der Wörter reduziere, die für einen Deutschlerner auf dem A2-Niveau noch problematisch sind.
Es muss aber Folgendes in Betracht gezogen werden: Erstens gibt es genug deutsche Wörter, die Deutschkenntnisse auf dem B1- oder B2-Niveau voraussetzten, die aber russischsprachige Deutschlernende beispielsweise schon auf dem A1- oder A2-Niveau verstehen werden. Es geht dabei oft um Wörter, die in der Muttersprache der Deutschlernenden die gleiche Lautform annehmen und dieselbe Bedeutung haben. So sind zum Beispiel solche Wörter im analysierten Text oben wie absolut, Idol, Talent für einen Deutschlerner aus Russland auch ohne Nachschlagen im Wörterbuch verständlich.
Praktisch finde ich auch, dass wenn man die Wortliste anklickt, man den Satz zu sehen bekommt, in dem das Wort vorgekommen ist. Das ist in zweierlei Hinsicht nützlich:
- Man kann den Kontext genauer unter die Lupe nehmen, um feststellen zu können, ob er es erschwert oder erleichtert, die Bedeutung des Wortes zu erschließen.
- Man kann der Satz selbst sprachlich eine Stufe leichter umschreiben, indem man z. B. das B1-Wort durch sein Synonym ersetzt. Das kann man gerade im Tool erledigen und den Text sofort noch einmal prüfen lassen.
Aufgaben vorbereiten und Wortdoppelungen meiden
Eine Funktionalität, die mir besonders gefällt, ist, dass man sehen kann, wie oft jedes Wort im Text vorkommt. Das kann bei der Erstellung von Aufgaben zur Lexik oder Grammatik behilflich sein. So kann man sicherstellen, dass das Lösungswort im Text nur einmal vorkommt. Dann wird der Text keine Hinweise auf die richtige Lösung für die eine oder die andere Aufgabe geben.
Hier eine Beispielanalyse. Klickt man auf ein Wort, das im Text mehrere Male vorkommt, bekommt man alle Kontexte zu sehen, in denen dieses Wort verwendet wurde. Man kann folglich nur einen Kontext unverändert lassen, die anderen dagegen umformulieren, weil man eine Aufgabe zu diesem Wort erstellen will.
Texte für das Hörverständnis vorbereiten
Wenn es um Texte geht, die dann als Hörtexte aufgenommen werden, so hat eine weitere Funktionalität eine große Bedeutung. Das Tool kann die Länge der Sätze im Text bestimmen wie auch berechnen, wie oft Sätze verschiedener Länge im Text vorkommen. Man muss nur die Funktionalität aktivieren, indem man auf „Sentence Lengths“ klickt. Das Ergebnis ist wie folgt:
Es ist offensichtlich, dass der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben zum Hörverstehen wesentlich von der durchschnittlichen Satzlänge abhängt. Enthält ein Hörtext gehäuft längere Sätze, wird sein Verstehen durch weniger lange Pausen erschwert. Mit dem Tool kann man aber nicht nur den Prozentanteil der Sätze je nach ihrer Länge feststellen, sondern man kann auch alle Sätze mit gleicher Länge auf einmal sehen (durch Anklicken des jeweiligen Balkens).
So kann man sich einen zu kürzenden Satz ansehen, um diesen in zwei Sätze zu teilen oder zu kürzen. Oder um festzustellen, dass dieser Satz sich kaum umformulieren lässt. Meine eigene Erfahrung lässt mich vermuten, dass das Hörverständnis eines Textes umso schwieriger wird, je mehr der Anteil von Sätzen mit einer Länge ab 12 Wörtern ist.
Auch die Aufgabentexte prüfen!
Noch zu erwähnen ist die Möglichkeit, nicht nur die Texte, sondern auch die Erklärungen und andere Aufgabentexte selbst auf ihren sprachlichen Schwierigkeitsgrad zu prüfen.
Sollte man zum Beispiel eine Aufgabe zum globalen Leseverstehen formulieren, wo man bestimmten Texten passende Überschriften zuordnen soll, wäre es wünschenswert, nicht nur die Texte selbst, sondern auch die Überschriften auf ihren Schwierigkeitsgrad zu überprüfen. So kann vermieden werden, dass die Überschriften sprachlich komplizierter als erforderlich formuliert sind.